Das Marden Walker Syndrom
Das Marden Walker Syndrom (MWS) kann verschiedenartig ausgeprägt sein und dadurch bei den einzelnen Kindern zu sehr unterschiedlichen Symptomen führen. So ist es möglich, dass MWS- Kinder mit ca. drei Jahren laufen und andere das Laufen aufgrund der schweren Körperbehinderung nicht erlernen können. Manche Kinder sprechen einige Worte, andere erlernen keine aktive Sprache. Einige Kinder haben organische Probleme und andere wiederum nicht.
Bei meinem Sohn ist die körperliche Behinderung sehr stark ausgeprägt, sodass er einen Rollstuhl benötigt. Daniel ist für sein Alter sehr klein und leicht, was beim MWS sehr häufig vorkommt. Das ist allerdings ein Vorteil, weil es die Pflege und das Tragen erleichtert. Daniels Gesichtsmimik ist nur sehr wenig bis überhaupt nicht vorhanden. Er hat eine Optikusathropie, wodurch seine Sehfähigkeit so stark eingeschränkt ist, dass mein Kind nach dem deutschen Blindengesetz als „blind“ eingestuft ist. Die Ernährungssituation war, wie bei allen Kindern mit MWS, sehr schwierig. Daher wurde meinem Sohn eine Magensonde durch die Nase gelegt. Als Daniel sich im Alter von ca. zweieinhalb Jahren die Sonde ständig selber zog, entschied ich mich dafür, meinem Kind eine PEG Sonde legen zu lassen. Diese ermöglichte es mir, Daniel ausreichend Flüssigkeit und Nahrung zu geben, ohne dass er ständig einen Schlauch durch die Nase tragen musste. Die PEG Sonde wird durch die Bauchdecke gelegt, und kann ca. fünf Jahre dort verbleiben bis sie erneuert werden muss. Endlich war der lästige Schlauch aus dem Gesicht weg. Ein für mich völlig neues Bild von meinem Sohn.
Als wir nach etwa drei Jahren unsere erste Delphintherapie planten, wechselten wir die PEG gegen einen Butten aus. Mit diesem kann man ohne Probleme Schwimmen gehen und ich kann diese Sonde bei Bedarf selber auswechseln. Eine, wie ich finde, optimale Lösung.
Mein Sohn hatte bei Geburt stark ausgeprägte Klumpfüße, die zuerst mit redressierenden Gipsen behandelt wurden; leider ohne Erfolg. Mit drei Jahren wurden die Füße in der Universitätsklinik Aachen operiert, so dass man ihn auf seine Füße stellen konnte und er einen Stehträner bekam. An den Händen hat Daniel Kontrakturen, die dazu führen, dass er einzelne Finger nicht bewegen kann und die Hände leicht gefaustet sind.
Mit etwa sechs Jahren entwickelte Daniel eine Epilepsie, die uns seitdem ständig begleitet. Mit ca. sieben Jahren wurde mein Sohn an seiner Hüfte operiert und anschließend lag mein kleiner Kerl für sechs Wochen im Gips-Bett. Eine sehr schwere Zeit für alle.
Heute mit seinen 16 Jahren ist Daniel durch seine schwere Körperbehinderung nicht dazu in der Lage, selbstständig zu laufen oder zu sitzen. Er hat daher einen auf seine Bedürfnisse angepassten Rollstuhl. Er hat eine leichte bis mittelstark ausgeprägte Skoliose und Kyphose. An seinen Füßen trägt er speziell für ihn angepasste Schuhe, um das Operationsergebnis zu halten. Die Ernährungssituation hat sich etwas gebessert, so dass er seine Magensonde nur noch zur Flüssigkeitsaufnahme benötigt. Die größten Fortschritte aber hat Daniel in seiner geistigen Entwicklung geschafft. Waren die Ärzte in den ersten Lebenswochen noch der Auffassung, Daniel würde nichts verstehen, sind wir uns heute sicher, dass Daniel gesprochenes Wort versteht und auch umsetzten kann. Und das sogar zweisprachig, da in seiner Schule Niederländisch gesprochen wird. Daniel zeigt sehr deutlich, was er mag und was er nicht mag. Er hat Vorlieben für Musik und kann sehr gut über sich selber lachen. Was mein Sohn überhaupt nicht mag, ist, wenn man ihn bedauert oder bemitleidet. Er nimmt voll am Leben teil und kommt mit seiner Situation gut klar. Er ist ein absoluter Familienmensch und am glücklichsten, wenn er alle um sich herum hat.
Wenn man mich heute fragen würde, ob ich mich mit dem jetzigen Wissen noch einmal für ein behindertes Kind entscheiden würde, kann ich dieses mit einem klaren “Ja“ beantworten. Wir haben bisher viele schwierige Situationen meistern müssen und man kommt auch immer mal wieder an seine Grenzen. Ich habe das Glück, dass meine Familie Daniel von Anfang an so aufgenommen hat wie er ist und immer alles mit uns zusammen getragen hat. Das ist nicht selbstverständlich. Daniel liebt Oma und Opa und seine beiden Onkel über alles. Ohne Ihre Hilfe wäre es oft sehr schwierig gewesen und manches wäre erst gar nicht möglich gewesen. Durch Daniel habe ich tolle Menschen kennen gelernt und neue intensive Freundschaften sind entstanden. Manchmal ist es auch schmerzhaft, sehen zu müssen, wie sich andere Kinder entwickeln und anfangen ihr Leben zu planen. Die erste Freundin, Schulabschlüsse, Abitur, Ausbildung und so weiter. Das haben wir alles nicht. Mit seinen 16 Jahren ist mein Kind immer noch komplett auf Hilfe angewiesen.
Trotzdem: Wir haben gemeinsam so viele wundervolle Dinge erlebt, die ich niemals missen möchte. Weil bei einem behinderten Kind nichts selbstverständlich ist, nimmt man alles viel intensiver war. Die ersten 50ml Nahrung die er geschafft hat zu trinken (wow). Das erste hörbare Lachen (einfach nur genial). Mein kleiner Kerl mit Delphinen im Wasser (unbeschreiblich). Mein Kind reagiert auf Licht (ich kann es nicht in Worte fassen).
Das Leben mit einem behinderten Kind ist mit Sicherheit ein anderes als mit einem gesunden Kind, aber auf keinen Fall ein schlechteres. Abschließend kann ich sagen: „Ja, wir sind glücklich!“ Ich habe einen tollen Sohn. Ich bin dankbar für die Jahre, die wir bisher gemeinsam verbringen konnten und ich hoffe, dass noch einige vor uns liegen werden.
Jetzt sind wir wieder in einer spannenden neuen Lebensphase. Mit Beginn der Pubertät ist es nicht immer ganz leicht für Daniel. Er ist genau wie andere Jugendliche: Oft von seiner Mama genervt, muss sich aber von mir versorgen lassen und kann sich nicht einfach zurückziehen. Das ist manchmal für alle Beteiligten eine Herausforderung. Naja, Pubertät ist halt, wenn die Eltern anfangen schwierig zu werden. Aber auch das werden wir meistern.
Ich bin gespannt, wie unser weiteres Leben verläuft und welche Überraschungen Daniel noch zu bieten hat.